„Schule ist so langweilig … seit drei Jahren gehe ich dorthin, und was lerne ich? Nichts.“
Sätze wie diese hören viele Eltern hochbegabter Kinder – und sie treffen mitten ins Herz.
Was auf den ersten Blick wie Bequemlichkeit oder Trotz wirken mag, ist in Wahrheit ein Hilferuf. Ein Ausdruck tiefer Unterforderung, Sinnsuche und seelischer Erschöpfung in einem System, das meist nur für die Mitte gebaut ist.
Und es sind vor allem ihre MĂĽtter, die diesen Widerspruch spĂĽren.
Die sehen, dass ihr Kind anders ist.
Dass es viel kann – und trotzdem leidet.
Dass es spürt, denkt, fühlt – und gerade deshalb oft nicht verstanden wird.
Vom neugierigen Entdecker zum „auffälligen“ SchĂĽler
Der Start ins Schulleben war bei meinem Sohn alles andere als leicht.
Nach Jahren im Waldkindergarten, mit viel Freiheit, Bewegung und Natur, traf er plötzlich auf laute Klassenräume, feste Strukturen und 25 Kinder gleichzeitig.
Obwohl die Lehrerin immer wieder betonte, wie „ruhig“ die Klasse sei, war es für ihn zu viel – zu laut, zu eng, zu reizintensiv.
Er war ständig krank, überfordert vom System, das seine Wahrnehmung nicht verstand.
Wir begannen mit Reflexintegration, nahmen ihn aus der Nachmittagsbetreuung und gaben ihm Zeit, sich zu stabilisieren.
In der zweiten Klasse hieß es dann, er käme „nur zum Schlafen“ in die Schule – Förderung sei keine Zeit für da.
Da in der Kita bereits der Verdacht auf Hochbegabung bestand, lieĂźen wir ihn schlieĂźlich testen:
Das Ergebnis lautete hochbegabt und hochsensibel – mit einer ausgeprägten Autonomie.
Er wollte selbst entscheiden, verstanden werden und auf Augenhöhe geführt werden – nicht aus Trotz, sondern weil er zutiefst intuitiv spürte, dass Anpassung ihn kaputtmacht.
Die Spirale der Langeweile
Als wir ihn schließlich selbst zu Hause förderten, blühte er auf.
Voller Hoffnung startete er in die dritte Klasse – überzeugt, dass jetzt „endlich richtiger Unterricht“ kommen würde.
Doch die Realität war ernüchternd: endlose Wiederholungen, kaum neue Impulse.
Die Lehrerin sagte, bei ihm sei es „ein Auf und Ab“ – an Tagen mit neuem Lernstoff war er motiviert, an Wiederholungstagen unruhig.
In jedem Entwicklungsgespräch ging es um sein Sozialverhalten.
Und jedes Mal, wenn ich fragte:
„Könnte seine Unruhe vielleicht mit Unterforderung zu tun haben?“
bekam ich einen ratlosen Blick.
Zwischen Systemgrenzen und Elternintuition
Ich versuchte, die Diagnostik und ihre Empfehlungen einzubringen – um ihn zu stabilisieren, aber auch, um die Lehrerin zu entlasten.
Doch viele Lehrkräfte haben Vorurteile gegenüber Hochbegabung.
Sie wollen das Kind erst anpassen, bevor sie es fördern:
„Er soll erst ruhig sitzen, schön schreiben, ordentlich arbeiten – dann können wir weitersehen.“
Aber Hand aufs Herz:
Wie erledigst du selbst Aufgaben, die dich seit Jahren langweilen?
Akribisch? Mit Geduld und Präzision?
Wohl kaum.
Das eigentliche Problem
Unser Schulsystem orientiert sich am Durchschnitt.
Es bemüht sich, die Kinder mitzunehmen, die Schwierigkeiten haben – was absolut richtig ist.
Doch jenseits der Mitte – rechts der Norm – fehlt oft Verständnis, Raum und Kompetenz.
Ein hochbegabtes Kind gilt schnell als „anstrengend“, „rebellisch“ oder „sozial auffällig“.
Dabei ist es schlicht unterfordert, unverstanden und innerlich gelangweilt.
Der Zahnputz-Vergleich
Es ist, als würden Kinder keine regelmäßige Zahnreinigung bekommen, weil sie ja Zähneputzen dürfen.
Die Vorsorge wird als Luxus gesehen, bis das Loch da ist – und dann darf behandelt werden.
So ist es auch mit Förderung in der Schule:
Prophylaxe (Prävention) wäre möglich – aber das System greift erst, wenn es „weh tut“.
Wenn du selbst hochsensibel bist, spĂĽrst du den Schmerz deines Kindes
Und du stehst dazwischen.
Du siehst, dass dein Kind leidet.
Du verstehst, was es braucht.
Aber du wirst nicht ernst genommen, weil das ja „Luxusprobleme“ sind.
Was Eltern tun können
Hinterfrage den Status quo.
Wenn dein Kind ständig „auffällt“, frage dich: Warum?
Verhalten ist immer Kommunikation.Hole dir UnterstĂĽtzung.
Eine fundierte Diagnostik oder Begabungsanalyse bringt Klarheit – nicht als Etikett, sondern als Wegweiser.Baue stabile Routinen zu Hause auf.
Unterforderung wirkt wie innerer Stress – Entspannung, Bewegung und kreative Impulse helfen, diesen Druck zu regulieren.Verbinde dich mit anderen Eltern.
Austausch entlastet. Du bist nicht allein – viele Familien erleben genau das Gleiche.Vertraue deiner Intuition.
Kein Experte kennt dein Kind besser als du.
Wenn du spürst, dass es mehr braucht – vertraue darauf.
Meine Botschaft an dich
Hochbegabung ist kein Luxusproblem.
Es ist ein Geschenk, das verstanden und gehalten werden will.
Und manchmal bedeutet das, den Mut zu haben, nicht länger still zu bleiben, wenn dein Kind innerlich schreit:
„Ich will endlich lernen.“
Aus meiner Erfahrung
In meiner Arbeit durfte ich bereits unzählige Kinder auf diesem Weg begleiten –
von der Schulverweigerung mit täglichen Bauchschmerzen und Tränen,
über den Satz „Ich finde einfach keine Freunde, weil ich so anders bin“,
bis hin zu „Ich habe Freunde und gehe gerne in die Schule“.
Auch meine eigenen Kinder fordern mich jeden Tag heraus,
einen gesunden, liebevollen Umgang mit all dem zu finden, was ist.
Ich teile meine besten Strategien, um besonderen Kindern zu helfen,
in einem System, das nicht für sie gemacht ist, gesund zu bleiben –
und ihr Potenzial gerade deshalb zu entfalten.
đź’› Denn jedes Kind, das wirklich gesehen wird,
kann lernen, seine Einzigartigkeit als Stärke zu leben.

